Anlässlich des heutigen „Festaktes zum Strukturwandel“: Fünf Fragen an einen Akteur, der dem aktuellen Strukturwandelprozess im Rheinischen Revier kritisch gegenübersteht

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Hans Kühnl anlässlich des Festaktes zum Strukturwandel am 27.04.2021 im Interview

 

Wie stehen Sie dem Transformationsprozess im Revier gegenüber?

Ich stehe dem Transformationsprozess im Revier zwiegespalten gegenüber.

Einerseits sehe in dem umfassenden Umbruch eine beinahe einzigartige Chance, einen wirklichen Neuanfang zu wagen. In den Nachhaltigkeitswissenschaften werden solche Disruptionen immer als Möglichkeiten hervorgehoben, Gesellschaft neu zu denken – das hat mich dazu motiviert, den Versuch zu wagen mich aktiv einzubringen.

Andererseits muss ich im Transformationsprozess miterleben, wie die Erzählung des Strukturwandels immer mehr von den Heilsversprechen Wachstum und technischer Innovation gekapert wird. Die geben sich heute zwar im grünen Gewand, sind dem Charakter nach jedoch weiterhin fester Bestandteil des alten Turbokapitalismus, der eben auch sozialer Ungleichheit und ökologischer Krise geführt hat.

Das Ergebnis hat mit einem echten Wandel nichts zu tun. Stimmen, die diesem Mantra widersprechen, finden dann auch in einer rein auf Wachstum ausgelegten Förderkulisse keine Berücksichtigung.

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Was sind die Kritikpunkte an diesem Prozess?

Wie bereits in der ersten Frage schon angesprochen, ist mein zentraler Kritikpunkt, dass die Chance, wirklich neu zu denken und zu handeln, nicht wahrgenommen wird. Das wird in folgenden Punkten deutlich:

Erstens. Statt zu schauen, welche gemeinschaftsstiftenden Formen des Arbeitens und Zusammenlebens entstehen können, wie ein gutes Leben abseits des immer mehr und immer größer Konsumieren aussehen kann, wie lokale und resiliente Wirtschaftskreisläufe gestärkt werden können, wie nachhaltige Projekte auf Mikroebene gestärkt und gefördert werden können, werden leblose Wimmelbilder mit Drohnen und ferngesteuerten LKWs gezeichnet.

Zweitens. Statt die Monopolisierung, die durch jahrzehntelange Fehlsubventionen in fossile Strukturen entstanden ist, durch eine plural und dann eben wirklich liberale Förderpolitik zu korrigieren, werden Monopolisten wie RWE weiterhin mit Steuergeldern für ihre veraltete Firmenpolitik entschädigt und strukturgebenden Gremien im Revier, namentlich der Aufsichtsrat der Zukunftsagentur, werden mit den bisherigen Profiteuren aus Unternehmen und Wirtschaftsverbänden dominiert. Das alles ist mehr Konservierung als Aufbruch.

Drittens. Statt verbindliche und mit einem Gestaltungsmandat ausgestattete Partizipationsstrukturen aufzubauen, die Menschen zur Teilhabe befähigen und motivieren bei der Gestaltung des Reviers Verantwortung zu übernehmen, werden freiwillige und unverbindliche Empfehlungen ausgesprochen. Die Revier Charta ist zwar ein guter Anfang für eine Beteiligungskultur, darf aber eben nur der Anfang sein – sonst kann auch hier nur von Konservierung die Rede sein.

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Was muss Ihrer Meinung nach bei diesem Prozess besonders beachtet werden?

Aus meiner Sicht gilt es vor allem zu beachten, dass der notwendige Wandel in und mit den Menschen geschehen muss. Unsere Kultur, unsere Gemeinschaft – das wie wir leben, wie wir zusammenleben und was uns glücklich macht. Wir müssen weg von dem Märchen, dass die Technik uns immer mehr Glück schenkt.

Glück kommt aus den Menschen und mit den Menschen, mit Zeit für das Glück und eine lebendige Mitwelt – all das haben wir in der Hand, und all das hat den schönen Vorteil, dass es weder CO2 noch Ressourcen kostet.

Was hilft mir Bioökonomie, wenn gleichzeitig meine Äpfel und mein Spargel aus Peru importiert werden müssen, weil die kleinen, regionalen und ökologischen Landwirtschaftsbetriebe durch die Rahmenbedingungen aktiv verdrängt werden.

Was hilft mir ein neues E-Auto in der Garage und eine Drohne über meinem Haus, wenn ich mit meinem Nachbarn auf Grund des Kohlekonflikts verstritten bin oder konstant Angst haben muss, dass die soziale Gemeinschaft auf Grund klaffender Lücken zwischen Arm und Reich auseinanderbricht.

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Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?

Die größte Herausforderung sehe ich genau darin, die Aufmerksamkeit auf den kulturellen Wandel zu legen. Der Fokus ist auf Glückssymbole, nicht auf Statussymbole zu legen. Dafür muss allerdings das Nachhaltigkeitsverständnis nachgeschärft werden, indem neben der Entkopplung von Wachstum und Ressourcenverbrauch auch eine Entkopplung zwischen Lebensglück und Wachstum angestrebt wird.

Mit anderen Worten: Es reicht nicht aus, mit Kreislaufwirtschaft und Effizienz unserer Konsumgesellschaft eine Nachspielzeit zu erkaufen, wir müssen durch kreative und dann eben wirklich innovative Art und Weise Strukturen schaffen und fördern, die suffiziente, genügsame und glückliche Lebensstile ermöglichen. Nur so werden wir Vorreiter für eine wirklich nachhaltige Zukunftsregion. Bisher scheitert dieser Wandel allerdings an der veralteten Erzählung vom unendlichen Wachstum aus dem vergangenen Jahrhundert.

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Wo sehen Sie persönlich die größten Chancen?

Die größte Chance sehe ich darin, dass wir diesen Strukturwandel nicht unter Laborbedingungen gestalten, sondern dass er Teil einer sich wandelnden Gesellschaft ist. Ich erlebe, dass Menschen aller Generationen sehr differenziert und sehr kritisch auf das schauen, was hier im Revier passiert. Wir wissen heute, dass die Existenz echten menschlichen Lebens auf eine intakte Um- und Mitwelt angewiesen ist.

Eben dieser Wandel und dieses Wissen sind es, die den Entscheidungsträgern den Mut geben müssen, die Weichen in Richtung einer wirklich nachhaltigen Gesellschaft zu stellen. Sie müssen lernen, weiter zu denken und weiter zu handeln als es ihnen die auf kurzfristigen Gewinn ausgerichteten Lobbyvertreter weismachen wollen.

Echte Nachhaltigkeit beginnt im Kleinen – mit kleinen Projekten. Mit Projekten wie zum Beispiel der regionalen solidarischen Landwirtschaft, mit dezentralen Energiegenossenschaften, mit gemeinschaftlichen Kultur- und Wohnprojekten oder mit sozial-ökologischem Unternehmertum.

Echte Nachhaltigkeit beginnt mit den Menschen, nicht mit Technik.

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